Historischer Hintergrund
Eine bedeutende Entwicklung in der Epoche der mittelhochdeutschen Literatur ist die Entstehung und Festigung des Feudalismus, der eine klar unterteilte Gesellschaft bedeutet. Die frühmittelhochdeutsche Zeit steht noch unter dem Einfluss der Kirche, der jedoch zunehmend von der weltlich-höfischen Kultur der Ritter abgelöst wird. Diese neue soziale Schicht erfährt einen schnellen Aufstieg und vereint militärische Aufgaben mit Verwaltungsfunktionen, die ein hohes Maß an Bildung voraussetzen. Die Einheit von weltlichem Herrschertum und kirchlicher Führung zerbricht schließlich im Investiturstreit (1059): Kirchliche Ämter dürfen nun nicht mehr durch weltliche Herrscher besetzt werden.
Unter der Herrschaft der Staufer (1138-1250) erlebt die ritterlich-höfische Kultur in der mittelhochdeutschen Zeit ihren Höhepunkt. Neben der Theologie rückt in Anlehnung an antike Traditionen auch die weltliche Wissenschaft in den Vordergrund. In Paris wird sogar eine Universität gegründet. Durch den Fernhandel und die Kreuzzüge entstehen Kontakte mit anderen Ländern und fremden Kulturen.
Nach dem Tod des letzten Stauferkönigs, Friedrich II., verlieren die Ritter zunehmend an militärischer Bedeutung und politischem Einfluss. An ihre Stelle rücken die Bürger der Städte, die sich nun zu den neuen kulturellen und wirtschaftlichen Zentren entwickeln.
Literarische Merkmale und Entwicklungen
Die frühmittelhochdeutsche Literatur ist zunächst weiterhin an Klöster gebunden und wird von Geistlichen verfasst. Allerdings wendet sie sich zunehmend auch an ein Laien-Publikum, z.B. Nonnen und Fürsten. Es entstehen religiöse Gebrauchstexte, wie Gebete und Predigten, und anspruchsvolle Interpretationen der Bibel. Außerdem gibt es Versdichtung zu religiösen, politischen und historischen Themen sowie zur moralischen Belehrung.
In der mittelhochdeutschen Zeit findet die Produktion von Literatur vor allem am Hof statt. Dichter sind nicht mehr nur Geistliche, sondern auch Ritter oder Berufsdichter, die von Fürsten beauftragt werden. Themen der höfischen Dichtung sind die Vereinbarkeit von Weltlichem/Sinnlichkeit und Geistlichem/Intellekt sowie die Tugenden der Adelsgesellschaft. Diese Tugenden setzten sich zusammen aus Anstand und Mäßigung (zuht und mâze), Freude (froide), Ansehen/Würde (êre), Beherrschung der höfischen Umgangsformen (hövescheit), Verlässlichkeit (triuwe), Großzügigkeit (milte) und der Verehrung der adeligen Damen (minne). Wichtige Gattungen (literarische Ausdrucksformen) sind der höfische Roman (Epos) und der Minnesang (Lyrik).
Der höfische Roman thematisiert die Werte und Verhaltensregeln des Ritterstandes, verpackt in eine Erzählung in Versen oder Strophen, und hat in der Regel mehrere Teile. Bedeutende Untergattungen des höfischen Romans sind die Kreuzzug-Epik, die den Kampf für ein gerechtes Ziel rechtfertigt, die Helden-Epik, die vom Bestehen von Abenteuern und der Treue zwischen Herr und Gefolgsmann handelt, und die Artus-Epik, in der ein idealer Herrscher (König Artus) und seine Ritterrunde verehrt werden.
Der Minnesang wird in der Regel von Rittern verfasst und beim Vortrag vor dem höfischen Publikum durch Musik begleitet. Es handelt sich oft um Auftragsarbeiten von Mäzenen (Förderern). Inhalt ist die Umwerbung einer adeligen, verheirateten Dame (frouwe), die ein Idealbild höfisch-weiblicher Tugend verkörpert. Dabei ist das Verhältnis zwischen der frouwe und dem Sprecher des Gedichtes fiktiv (nicht real). Es geht vielmehr um die Bändigung der triebhaften in eine sittliche und angesehene Form der Liebe mithilfe der Literatur.
Um auch an fremden Höfen seine Dichtkunst verbreiten zu können, entwickelt der Ritterstand eine erste einheitliche Schriftsprache. Diese Kunstsprache verschwindet nach der Zeit der höfisch-ritterlichen Kultur allerdings wieder.
Um 1350 endet die höfische Tradition und die Stadt mit ihrer bürgerlichen Gesellschaftsschicht rückt ins literarische Zentrum. Zu wichtigen literarische Gattungen werden in der spätmittelalterlichen Literatur nun der Prosa-Roman und das Drama.
Beispiele für Autoren und Texte
Nibelungenlied (ca. 1150-1200) Heldenlied, in dem germanische Motive an die Konventionen der höfischen Gesellschaft angepasst werden
Walther von der Vogelweide (1170-1230): Minnesang
Wolfram von Eschenbach (1170-1225): Parzival Versroman, der erzählt, wie Parzival sich vom unerfahrenen Jungen zum Ritter und schließlich zum König entwickelt
Gottfried von Straßburg (1170-1230): Tristan und Isolde Versroman, der die (außereheliche) Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde behandelt
Hartmann von Aue (Ende des 12. Jahrhunderts): Erec und Iwein Artus-Romane
Quellen
- Peter Kohrs (2007): "Deutsch - Pocket Teacher Abi. Basiswissen Oberstufe." Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor. Kapitel 3.3 Mittelhochdeutsche Dichtung, S. 93-98.
- Peter Kohrs (2007): "Deutsch - Pocket Teacher Abi. Basiswissen Oberstufe." Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor. Mittelhochdeutsche Sprache, S. 39-42.
- Lexikon des Mittelalters Online (2004). Turnhout: Brepolis. Wolfram von Eschenbach.
- Horst Dieter Schlosser (1983): dtv-Atlas zur deutschen Literatur. Tafeln und Texte. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
- Bild 1: Wikimedia Commons: Hans Kloss: Staufer-Rundbild, fotografiert von Geak.
- Bild 2: Wikimedia Commons: Leuthold von Seven im Codex Manesse von Universität Heidelberg.
- Bild 3: Wikimedia Commons: Parzival und Condviramur von Werkstatt Diebold Lauber, Hagenau.