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Empfindsamkeit - Stehe zu deinen Gefühlen!

Die Empfindsamkeit (um 1720-1800) ist eine wichtige Literaturströmung in der Literaturgeschichte. In ihr spielen die eigenen Gefühle eine sehr große Rolle. Wir verraten dir, was die Empfindsamkeit genau ist, und welche Merkmale sie auszeichnen.

Ölgemälde "Blick auf Pyrmont" von Christian Georg Schütz

Ölgemälde "Blick auf Pyrmont"

Empfindsamkeit - Die Literaturströmung kurz vorgestellt

Die Epoche der Empfindsamkeit ist eine Literaturströmung, die sich zur Zeit der Aufklärung entwickelte und im deutschsprachigen Raum ca. 1720 bis 1800 andauerte. Bei den meisten literarischen Vertretern der Empfindsamkeit handelte es sich um junge Schriftsteller aus dem Bildungsbürgertum. Sie reagierten mit gefühlsbetonten literarischen Formen auf den vorherrschenden Vernunftgedanken der Aufklärung.

Im Gegensatz zum Sturm und Drang, der sich der Aufklärung stark entgegenstellte, ergänzte die Empfindsamkeit die rationalen Ansichten der Aufklärung, indem sie das Gefühl und das Empfindsame als gleichwertig zum Verstand ansah. Insofern ist die Strömung der Empfindsamkeit nicht wirklich als Gegenbewegung zur Aufklärung zu verstehen, sondern eher als Ergänzung.

Zeitstrahl der literarischen Epochen (eigene Abbildung)

Zeitstrahl der literarischen Epochen (eigene Abbildung)

Historischer Hintergrund

Die Empfindsamkeit wird als Binnenströmung der Aufklärung verstanden. Die Empfindsamkeit war durch dieselben gesellschaftlichen und historischen Ereignisse geprägt wie die Aufklärung: Religions- und Bürgerkriege erschütterten Deutschland. Das Ständesystem bestimmte die gesellschaftliche Ordnung. Gleichzeitig begann der Fortschrittsgedanke den Absolutismus und die Macht des Adels zu hinterfragen, wodurch Forderungen nach Toleranz und Gleichheit immer lauter wurden.

Im Sinne der Aufklärung sollte der Mensch sich mithilfe seines Verstandes von seiner Unmündigkeit befreien und sein Recht auf Emanzipation, Bürgerrechte und Bildung einfordern. Der Verstand war das höchste Ideal der Aufklärung. Die Literatur sollte nach dem Verständnis der Aufklärung klaren Richtlinien folgen, damit diese Ideale an die Lesenden weitergegeben werden konnten.

Vertreter der Empfindsamkeit hinterfragten wie die Stürmer und Dränger den Absolutismus und die Vormachtstellung des Adels. Der Sturm und Drang lehnte jedoch das aufklärerische Ideal ab, das von Verstand und Moral geprägt war. Er strebte stattdessen einen extremen Gefühlsausdruck an. Die Empfindsamkeit hingegen widersprachen nicht allen aufklärerischen Ideen. Sie stellten vielmehr Emotionen und das Sentimentale an die Seite der vernünftigen und rationalen Ansätze der Aufklärung.

Welt- und Menschenbild der Empfindsamkeit

Menschen sollten Empfindungen und Gefühle nicht als Makel sehen, sondern als eine Möglichkeit, die persönliche Gefühlswelt ausdrücken zu können. Die Empfindsamkeit war also eine Reaktion auf den vorherrschenden Rationalismus der Aufklärung. Bei den Vertretern der Empfindsamkeit herrschte nämlich die Ansicht, dass das emotionale Innenleben und die individuellen Empfindungen eines Menschen seine Handlungen und Persönlichkeit beeinflussten.

Somit war die Weltsicht dieser Literaturströmung von Sentimentalität und Enthusiasmus, also von Rührseligkeit und überschwänglicher Begeisterung, geprägt. Diese intensiven Gefühlsempfindungen halfen den Bildungsbürgern, vor ihrer gesellschaftlichen und politischen Unterdrückung zu fliehen.

Außerdem war die Epoche der Empfindsamkeit vom Pietismus beeinflusst.

Motive und Themen der Empfindsamkeit

Der Begriff verrät bereits, worum es in der Empfindsamkeit zentral ging: um Gefühle. Neben der Gefühlsbetontheit sind eine starke Naturverbundenheit und Frömmigkeit typische Merkmale der Empfindsamkeit.

Unter diesen Merkmalen fallen unter anderem folgende Themen und Motive:

  • Freundschaft

  • Geschwisterliebe

  • Nächstenliebe

  • Naturliebe

  • Trauer

Abgrenzung zum "Sturm und Drang" und der "Aufklärung"

Die Empfindsamkeit verlief zeitgleich zu Aufklärung und Sturm und Drang. Sie weist Bezugspunkte zu beiden Epochen/Strömungen auf, lässt sich aber auch recht leicht von ihnen unterscheiden:

  • Der Sturm und Drang war eine Gegenbewegung zur Aufklärung. Dem Verstand, dem höchsten aufklärerischen Ideal, setzten die Stürmer und Dränger Gefühl und Fantasie entgegen.

  • Auch die Empfindsamkeit betonte das Gefühlvolle. Anders als der Sturm und Drang war sie aber keine Protestbewegung gegen die Aufklärung, sondern ergänzten die rationalen Ideen dieser Epoche um das Empfindsame und Sentimentale. Sie begriff Gefühle nicht als Makel, sondern als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung.

  • Der Sturm und Drang steigerte die Überhöhung des Gefühls, wie es in der Empfindsamkeit stattfand, in einen regelrechten Gefühlsrausch und ist somit extremer und leidenschaftlicher als die Empfindsamkeit.

Aufklärung

Empfindsamkeit

Sturm und Drang

  • Die Vernunft als Ideal

  • Fortschrittsgedanke

  • Forderung nach Gleichheit

  • geistige Emanzipation

  • Individualität

  • Erziehung und Bildung

  • Fokus auf Naturwissenschaften

  • Empfindsamkeit als Ideal

  • Gefühl ist kein Makel

  • sentimental und rührselig

  • Frömmigkeit

  • Ergänzung zur Aufklärung

  • Gefühle und Fantasie als Ideal

  • Freiheitsgedanke

  • rauschhaft und leidenschaftlich

  • Geniekult

  • tragisches Heldentum

  • Kritik am Feudalismus

  • Gegenbewegung zur Aufklärung

Literatur der Empfindsamkeit

Die Autor/-innen der Empfindsamkeit waren junge Akademiker aus dem Bildungsbürgertum. Ihre Texte sind durch Schwärmerei und Überschwang gekennzeichnet. Um die inneren Empfindungen nach außen zu kehren, nutzten sie literarische Formen, mit denen sich Gefühle detailliert darstellen ließen. Ein zentrales Ziel war es, die Lesenden zu rühren.

Lyrik

Die Lyrik eignet sich durch ihre sprachlichen und formalen Besonderheiten sehr gut dazu, Empfindungen überschwänglich zum Ausdruck zu bringen. Sie ermöglicht einen massiven Einsatz von Stilmitteln. Auch durch Gestaltungsmittel wie Metrum und Reimschema lassen sich Gefühle kunstvoll ausschmücken.

In der Empfindsamkeit waren besonders Oden, Hymnen und Elegien beliebt – alles Gedichtformen, die sich an sich schon durch Überschwang auszeichnen. Gefühle stehen im Mittelpunkt. Entsprechend zeigt das empfindsame lyrische Ich starke Gefühlsregungen und offenbart oftmals seinen Seelenzustand.

Häufig findet man in Gedichten der Empfindsamkeit Ausrufe wie "Oh" und "Ah".

Das wichtigste Gedicht der Empfindsamkeit ist das Heldengedicht "Messias" von Friedrich Gottlieb Klopstock. Wegen seiner sprachlichen und formalen Gestaltung hatte es einen großen Einfluss auf die zeitgenössischen Dichter/-innen.

Epik

In der Epik dominierten vor allem Briefroman, Reiseberichte und andere Erlebnisberichte, da sie es ermöglichten, individuelle Empfindungen enthemmt darzustellen. Einen Höhepunkt stellt in diesem Zusammenhang Goethes Briefroman "Die Leiden des Jungen Werther" dar. Es ist nicht nur das wichtigste Werk des Sturm und Drang. Die Schilderung von Werthers tiefsten Empfindungen entspricht auch den Ideen der Empfindsamkeit.

Dramatik

In der Dramatik verdrängte das Empfindsame das Komödiantische durch weinerliche Lustspiele oder Rührstücke. Das waren Stücke, die Zuschauer zu Tränen rühren sollten. Außerdem gewann das bürgerliche Trauerspiel immer mehr an Bedeutung.

Beispiele für Autoren und Texte

  • Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), z.B. "Messias" (1749-1773), "Oden" (1771) oder "Der Zürchersee" (1771)

  • Matthias Claudius (1740-1805), z.B. "Abendlied" (1778)

  • Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832): "Die Leiden des jungen Werther" (1774)

  • Sophie von La Roche (1730-1807): "Geschichte des Fräulein von Sternheim" (1771)

Zeitgleich zur Empfindsamkeit verlief auch der Sturm und Drang (um 1765-1785), welcher ebenfalls den Ideale der Aufklärung widersprach.

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Quellen


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